Früher Trocken dank Stoffwindeln?

Wenn wir erfahren haben, dass wir ein Baby erwarten und sich Vorfreude breit macht, setzt irgendwann der Nestbautrieb ein und wir fangen an, Vorbereitungen zu treffen, Listen zu schreiben und abzuarbeiten und Einkäufe zu machen. 

Dabei stellt sich vielen dann auch die Frage, wie viele Windeln brauche ich, in welcher Größe und welche? Für einige aber auch: Wie möchte ich wickeln? Mit Einwegwindeln oder mit Stoffwindeln? 

Dann kommt unser Kind zur Welt und wir wachsen in unsere neue Rolle als Eltern hinein, füttern, wickeln, baden, tragen, kuscheln, trösten, spielen…

Beim Thema Wickeln kommen wir irgendwann an den Punkt, dass unser Kind doch langsam zu alt für Windeln ist. Bei den einen früher, bei den anderen später, aber alle Kinder wollen oder sollen irgendwann keine Windeln mehr tragen. 

Oft haben wir dann den Eindruck, dass die Stoffwindel-Kinder früher so weit zu sein scheinen? Ist das vielleicht tatsächlich so? Aber warum? Lohnt es sich, im Hinblick auf das Sauberwerden von Anfang an auf Stoffwindeln zu setzen?

Über die Autorin

Rebekka Hakenberg von Sofabeere, ist 1988 geboren, Mutter eines mit Stoffwindeln gewickelten Kindes und  kommt aus Solingen. Dort berät sie seit 2020 Eltern und andere Interessierte zum Thema Stoffwindeln. Ihre Ausbildung zur Stoffwindelberaterin hat sie bei der Stoffwindel-Akademie abgeschlossen. Seit 2022 hat sie ihr Angebot um hello nappy Beratungen erweitert und berät und begleitet Familien auch zu den Themen Windelfrei, Abhalten, Ausscheidungskommunikation, von Geburt an und auch bei Problemen beim Trocken werden, sowie zu Entwicklungspädagogik nach Rita Messmer.

Weitere Informationen unter www.sofabeere.de

Was bedeutet eigentlich “trocken sein”?

Wenn wir uns mit anderen Eltern treffen, kommen wir häufig in Gesprächen darauf, was unsere Kinder schon können oder was uns gerade Sorgen bereitet. So sprechen wir auch über Windeln und Ausscheidungen unserer Kinder und hören Sätze wie “Mein Kind ist seit 3 Monaten trocken.” Aber was bedeutet dieses Trocken eigentlich? Ich glaube, dass jede Mama und jeder Papa sein eigenes Verständnis vom Trocken Sein hat. Ist ein Kind trocken, das tagsüber keine Windel mehr braucht, oder Tag und Nacht? Ist das Kind trocken sobald es eine Woche, zwei Wochen, 3 Monate keine Windel mehr getragen hat? Und was ist mit den Unfällen? Zählt die Zeit dann von vorn?

Die offizielle Definition davon, dass ein Kind trocken ist, lautet, dass es 6 Monate lang nicht mehr eingenässt und eingekotet hat. Dann sprechen wir von der vollständigen Blasen- bzw. Darmkontrolle. Wird diese Kontrolle über das 5. Lebensjahr hinaus nicht erreicht sprechen Ärzte von Enuresis (einem Einnässproblem) oder Enkopresis (einem Einkotproblem).*

Wann werden Kinder trocken?

Wann ein Kind trocken wird, ist sehr unterschiedlich und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Beschränken wir uns auf unsere westliche Gesellschaft, ist dieser Schritt zumeist zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr erreicht.
Wie Largo beobachtet, werden Kinder seltener oder später nachts trocken als tagsüber. Zwischen 13 und 16% der Kinder nässen bei Schuleintritt nachts noch regelmäßig ein.*

In einer Schulklasse von ca. 25-30 Kindern entspricht das 4 Kindern. Mit zunehmendem Alter wird dieser Anteil immer geringer, bis unter den Jugendlichen ab 15 Jahren noch 1% Bettnässer zu finden sind. 

Wir können beobachten, dass sich das Alter, in dem die Kinder trocken bzw. sauber werden, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer weiter nach hinten verschoben hat. So wurden zum Beispiel in der DDR Kinder häufig auch auf Grund der Verfügbarkeit bzw. Nichtverfügbarkeit von Einwegwindeln mit Stoffwindeln gewickelt und bereits ab dem Alter von ca. 10 Monaten an das Töpfchen gewöhnt und wurden entsprechend häufig bereits vor dem zweiten Geburtstag trocken, während Kinder in Westdeutschland oft noch bis ins 3. oder 4. Lebensjahr hinein mit Einwegwindeln gewickelt wurden.*

Diese Tatsache legt die Annahme nahe, dass Stoffwindeln im Vergleich zu Einwegwindeln ein früheres Trockenwerden begünstigen.  

Exkurs:

In vielen Regionen der Welt werden überhaupt keine Windeln verwendet. Dort werden die Babys vom ersten Tag an abgehalten. Diese Kinder sind häufig bereits mit ca. 9 Monaten in der Lage, ihr Geschäft zuverlässig anzukündigen und um den 18. Lebensmonat herum trocken. Das kann auch in unserer Kultur klappen. Mehr Infos hierzu findet man bei hello nappy oder Windelfrei Beraterinnen und Coaches.

Ein Land in dem typischerweise keine Windel genutzt wird, ist China. Seit dem dort vermehrt Einwegwindeln zum Einsatz kommen, ist Zahl der Bettnässer gestiegen. Eine Studie hat sich deshalb mit den Auswirkungen von Einwegwindeln beschäftigt.
Unter Anderem kommt man hier zum Schluss, dass ein Tragen der Einwegwindeln vermehrt zu Bettnässen führt. Liegt die Zahl der Kinder, die nachts einnässen, bei Windelfrei-Kindern gerade bei unter 4%, liegt sie bei Kindern, welche Tag und Nacht Einwegwindeln tragen, bereits bei über 8%.*

Wie können Stoffwindeln beim Trocken werden helfen

Entscheidender Vorteil: Nässefeedback

Vergleichen wir Stoffwindeln und Einwegwindeln im Hinblick auf das Trockenwerden, finden wir sehr schnell einen wesentlichen Unterschied: Die Stoffwindel wird nass!

Die Einwegwindel hingegen wird dank oder wegen des unnatürlich saugstarken Superabsorbers gar nicht nass und das Kind hat ein ständiges Trockenheitsgefühl.

Aber ist es nicht gut, wenn die WIndel sich trocken anfühlt? Oder: Warum das Nässefeedback so wichtig ist

Um zu verstehen, warum das Trockenheitsgefühl, was häufig als Vorteil der Einwegwindel argumentiert wird, nicht hilfreich ist müssen wir uns die Verknüpfungen in unserem Nervensystem und dem Gehirn, die für unser Ausscheidungssystem eine Rolle spielen, genauer anschauen.

Unsere Blase ist ein Hohlmuskel mit Rezeptoren, die dem Gehirn melden, wenn sie sich füllt und ein gewisser kritischer Füllstand erreicht ist. Das funktioniert schon bei Neugeborenen und sie geben uns ein Signal, wenn sie einmal müssen. Aus dieser Information wird im Gehirn der Impuls zur Blasenentleerung gemacht, der innere Schließmuskel (Sphincter) öffnet sich, wir entspannen den Beckenboden (äußeren Schließmuskel) und die Blase leert sich. Wir erfahren die Entleerung der Blase durch das Wegfallen des zuvor erklärten Spannungsreizes, das Geräusch beim Wasserlassen, wir können in der Toilette, dem Töpfchen, etc. unseren Urin sehen. In der Stoffwindel spürt das Kind, wie es nass wird. Das Gehirn merkt also “Aha! Ich habe losgelassen und es wird nass.” Dadurch festigt sich die entsprechende Verknüpfung des Ablaufs im Gehirn.* Dieses Bewusstsein ist ein wichtiger Faktor für den Prozess des Trockenwerdens. 

Bei der Einwegwindel hingegen fehlt nahezu jedes akustische, sensorische oder optische Feedback. Das Gehirn merkt kaum einen bis keinen Effekt und die Verknüpfung gehen verloren bzw. werden nicht aufgebaut. Möglicherweise bis hin zu dem Punkt, dass das Gehirn eines Tages das Signal der Blasenfüllung gar nicht mehr richtig spürt.

Aber das Kind fühlt sich in der nassen Windeln unwohl

Ja, so wird es sehr wahrscheinlich fühlen. Aber ist das denn nicht auch gut und natürlich so?

Wie viele andere Säugetiere sind wir Menschen keine Nestbeschmutzer. Vielmehr haben wir  ein natürliches Bedürfnis zur Reinlichkeit und Sauberkeit. Wir verrichten unser Geschäft außerhalb des Nests, genauso wie zum Beispiel auch viele Nagetiere eine eigene Höhle für ihre Ausscheidung haben und auch Affen ihre Ausscheidung nach unten fallen lassen. Evolutionsbedingt wollen wir uns, unsere Bezugsperson und unser Nest sauber halten, denn der Geruch von Kot und Urin könnte wilde Tiere anziehen oder das Leben direkt in unserer Ausscheidung die Verbreitung von Krankheiten begünstigen. Es ist also nur natürlich, dass auch das Baby nicht in seiner Ausscheidung in der nassen oder vollen Windel liegen möchte.

Was wir von der Stoffwindel erfahren*

Wickeln wir unser Kind mit Stoffwindeln, erhalten wir als Eltern aus der Windel ganz nebenbei eine Menge Informationen darüber, wie es unserem Kind geht. Denn in der Stoffwindel sehen wir, wenn sich die Farbe des Urins verändert, riechen wir, wenn sich der Geruch des Urins verändert. Durch den Superabsorber, Lotionen und Parfums in den Einwegwindeln haben diese häufig einen gewissen Eigengeruch. Einige sind sogar eingefärbt. Dadurch bekommen wir nur schwer mit, falls sich der Urin unseres Kindes zum Beispiel durch Trinkmenge, aber eventuell auch durch Krankheit verändert. 

Durch das andere Saugverhalten der Stoffwindel haben wir ein außerdem direkteres Feedback über die Menge an Urin, die unser Baby ausscheidet, und bekommen auch viel leichter mit, wie häufig unser Kind ausscheidet. 

Das kann ein immenser Vorteil sein, sobald wir das Töpfchen-Training angehen. So kennen wir zum Beispiel bereits die Zeitpunkte, zu denen unser Kind meistens muss und können es gezielter zum Töpfchen begleiten.

Die Einstellung zur Ausscheidung

Viele Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder psychische Schäden durch zu frühes oder zu strenges Töpfchen-Training davontragen. Daraus hat sich die landläufige Meinung entwickelt Eltern sollten warten, bis das Kind von alleine signalisiert, dass es das Töpfchen oder die Toilette benutzen möchte.

Dabei ist es viel weniger das Töpfchen-Training selbst, das negative Auswirkungen haben kann, sondern unser Umgang als Eltern und Vorbilder mit dem Thema Ausscheidung und Sauberkeit.

Jessica Sawatzke hat in ihrer Arbeit “Primärprävention bei Babys und Kleinkindern: Eine qualitative Untersuchung über gesundheitsbezogene Erfahrungen von Müttern im Gebrauch mit modernen Stoffwindeln” die Beobachtung gemacht, dass Eltern, die Stoffwindeln nutzten das Wickeln als etwas Positives und Qualitätszeit beschrieben, während dies bei Einwegwindeln nicht der Fall war.*

Wir können das Trockenwerden unserer Kinder unterstützen, indem wir negative Äußerungen wie „Stinker“, „eklig“ etc. nicht gebrauchen und stattdessen einen offenen Umgang mit unserer Ausscheidung pflegen. So können wir vermeiden, dass das Kind Ausscheidung als etwas Negatives sieht und jeglichen Kontakt mit dem Thema meidet.

Es ist okay und normal, wenn ein Kind zum Beispiel sein Häufchen im Töpfchen erst sehen möchte, bevor es in der Toilette abgespült wird. Das fördert die Selbstwirksamkeit und Autonomie und gibt dem Kind ein positives Gefühl. Das reicht übrigens schon aus, sodass wir auf Lob oder Belohnung verzichten können. Unser Kind hat alleine etwas geschafft und gemacht, das wir “Großen” auch tun, etwas, das gesellschaftlich anerkannt und normal ist. So möchte es auch sein und ist stolz, das erreicht zu haben. 

Aber ist das nicht ganz schön viel Aufwand? Oder: Der Eltern-Energie-Erhaltungssatz*

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Waschen von Stoffwindeln mehr Aufwand macht als eine Einwegwindel zusammen zu rollen und in den Mülleimer zu werfen.

Aber wenn wir dadurch belohnt werden, sodass wir unsere Kinder 1,5 oder 2 Jahre weniger wickeln, haben wir doch wirklich was gewonnen, oder? Wenn wir den “Mehraufwand” dann noch zu der Zeit betreiben, zu der wir ohnehin viel Zeit mit unserem Baby verbringen, weil wir die Elternzeit nutzen, können wir doch davon ausgehen, dass es für uns insgesamt entspannter ist, statt zwischen Büromeetings, Kindergarten, Wocheneinkauf und Turngruppen im stressigen Familienalltag, nachdem wir bereits ins Berufsleben zurückgekehrt sind auch noch das Trockenwerden unseres Kindes zu begleiten.

Nicola Schmidt hat dies in ihrem Buch “artgerecht Das andere Babybuch” so treffend mit dem Eltern-Energie-Erhaltungssatz beschrieben.

Trockenwerden ist von verschiedenen Faktoren abhängig

Wie hier klar wird, kann die Stoffwindel einen positiven Einfluss auf das Trockenwerden unserer Kinder haben.
Das Trockenwerden ist aber sicherlich von verschiedenen Faktoren abhängig. Folgend ein paar Einflussfaktoren, die unabhängig von der Wahl der Windel sind.

  • Wie bereits erwähnt, hat auch der Umgang mit den Ausscheidungen einen Einfluss.
  • Mit dem Wickelintervall, also der Häufigkeit mit der wir unser Kind wickeln, vermitteln wir unserem Kind automatisch, ob es normal ist lange in den eigenen Ausscheidungen zu sein. 
  • Unsere Kinder zu unterschätzen, weil es noch „viel zu klein“ dafür sei. Wenn ein Kind Interesse am Töpfchen hat und / oder an den Vorgängen im Badezimmer, dann sollten wir Eltern diese Neugierde unterstützen, statt sie zu ignorieren. 
  • Beim nächtlichen Trockenwerden spielen außerdem Hormone eine Rolle, welche wir als Eltern nicht beeinflussen können.
  • Die eigene Motivation der Kinder. Wir können als Eltern so viele Anreize schaffen, wie wir möchten. Unsere Kinder müssen es auch von sich aus wollen.

Mit einem achtsamen Umgang und dem Beachten der Bedürfnisse unserer Kinder, können wir unabhängig der Windel großen Einfluss auf das Trockenwerden nehmen.

Am besten von Anfang auf Stoffwindeln setzen

Kinder werden typischerweise zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr trocken. Trocken bedeutet hierbei, dass die Tag und Nacht über 6 Monate hinweg “unfallfrei” vollständige Blasen- und Darmkontrolle erreichen.
Zwischen 13 und 16 % der Kinder, die eingeschult werden, nässen nachts noch regelmäßig ein.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit Stoffwindeln eine Möglichkeit haben, unsere Kinder früher und besser beim Trockenwerden zu unterstützen. Dabei gibt es zwei wesentliche Faktoren: Die Biologie und die Pädagogik.

Biologisch hilft uns die Stoffwindel, wichtige Verknüpfungen im Gehirn aufrechtzuerhalten und zu festigen und so wichtige Voraussetzungen für die vollständige Blasen- und Darmkontrolle schon früh zu schaffen. 

Von pädagogischer Seite hilft uns der natürliche und achtsame Umgang mit dem Thema Ausscheidung und Töpfchen, unser Kind ohne Druck und Stress in die richtige Richtung zu führen und dabei seine eigene Motivation als Motor zu nutzen.

Klar wird aber auch, dass die Stoffwindeln idealerweise bereits präventiv eingesetzt werden, da der Weg zum Trockenwerden so bereits mit dem ersten Pipi beginnen kann. Eine Lösung bei Problemen beim Trockenwerden sind sie eher nicht bis selten. 

Quellenangaben

Zu allen mit * gekennzeichneten Abschnitten, sind hier die Quellenangaben zu finden:

https://www.kindergesundheit-info.de/themen/entwicklung/entwicklungsschritte/trocken-und-sauberwerden/trocken-sauberwerden-probleme/

https://www.gesundheitsinformation.de/bettnaessen.html

https://www.kleinerhomosapiens.ch/wp-content/uploads/2019/04/Tamara.Beck_.Nestw%C3%A4rme.3.19pdf.pdf

Jessica Sawatzke Onlinekurs „Das große Stoffwindel 1×1“

Primärprävention bei Babys und Kleinkindern: Eine qualitative Untersuchung über gesundheitsbezogene Erfahrungen von Müttern im Gebrauch mit modernen Stoffwindeln – Jessica Sawatzke

Babyjahre – Remo H. Largo 17. Auflage (Sept. 2015) Piper Verlag

artgerecht – das andere Babybuch – Nicola Schmidt  8. Auflage Kösel Verlag

Ihr Baby Kann’s! – Rita Messmer 2004 Beltz Verlag

https://files.static-nzz.ch/2021/11/29/64e13fb3-cff7-4966-afa0-b61197164398.pdf

Bildrechte: Rebekka Hakenberg

1 Kommentar zu „Früher Trocken dank Stoffwindeln?“

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